Die digitalen Todsünden
Hochmut — Das Internet ist die Bühne der Eitlen und Selbstverliebten. Sich präsentieren, um Aufmerksamkeit buhlen, das geht in Ordnung. Nicht in Ordnung ist der Hochmut gegenüber all jenen, die nicht im Rampenlicht des Internets stehen und nicht jeder neuesten technischen Entwicklung hinterherrennen. Zu oft gefallen sich die early adopters darin, den Rest als zurückgeblieben und ignorant abzuqualifizieren. Ihnen möchte man die analoge Surferweisheit zurufen: Man muss nicht als Erster auf der Welle sein, sondern dann, wenn sie am höchsten ist.
Geiz — Im Internet ist ein Prinzip zum Mantra erhoben worden, das wir als Kinder gelernt (aber nie akzeptiert) und später (wohl darum) wieder vergessen haben: Man teilt mit anderen, was man hat. Die Süssigkeiten sind jetzt Informationshäppchen und man teilt nicht mehr, man sharet. Den Link zu einem interessanten Artikel, die Fotos vom letzten Grillabend, das Wissen um eine abgeschiedene Bucht in der Bretagne. Was ich habe und weiss, teile ich. Wer geizt, wird von der Community missachtet. Das ist zwar besser, als aller Süssigkeiten beraubt und verprügelt zu werden – zum Aussenseiter wird man trotzdem.
Genusssucht — Ein funkelndes Gadget neben dem anderen, technische Verlockungen im Stakkato. Gerne gerät der homo digitalis ob dieses Angebots ins Schwärmen, lässt sich von Lust statt Ratio in seinen Entscheidungen leiten. Doch er sollte sich nicht blenden lassen von Touchscreens, OLED-Displays und magischen Mäusen. Zu viel des Guten verdirbt den Charakter, stumpft ab gegenüber wirklich wertvollen Dingen, die auch im 21. Jahrhundert noch analog sind. Wenn ein ganzes Römisches Reich an der Genusssucht zu Grunde gehen kann, nehmen Sie sich mal besser in Acht.
Zorn — Zorn ist in jeder Lebenssituation ein zwielichtiger Begleiter. Er fördert Dinge zu Tage, die besser im Dunkeln blieben. Im Netz aber hinterlässt der Zorn noch Spuren, selbst wenn er längst wieder verflogen ist. Das Netz vergisst nicht oder nur sehr langsam. Werfen Sie Teller an die Wand, prügeln Sie auf einen Boxsack ein. Aber veröffentlichen Sie nichts im Netz, während Sie zornig sind.
Völlerei — Das Internet ist das All-you-can-eat-Kreuzfahrtbuffet der Informationsgesellschaft. Wer sich nicht selber zügelt, überfrisst sich hoffnungslos. Die übervolle Informationsangebot wird erst dann zum Problem, wenn man sich gedankenlos darauf stürzt. Darum: Das Hirn surft mit – und entscheidet, wo die Aufmerksamkeit sinnvoll eingesetzt ist. Es gilt massvoll zu geniessen und sich wann immer möglich die Filetstücke servieren zu lassen.
Sie lesen einen Auszug aus dem Buch «Kurzbefehl. Der Kompass für das digitale Leben.» von David Bauer. Sie können das Buch jetzt bestellen, weiterstöbern, diesen Text kommentieren oder selber eine Frage zum digitalen Leben stellen. Ah ja, und via Facebook weiterempfehlen dürfen Sie es auch gerne.
Missgunst — Im Netz, spätestens seit es sich für alle geöffnet hat und ein 2.0 angehängt erhalten hat, kann jeder zeigen und zur Schau stellen, was er erreicht hat. Das Netz ist voll von Erfolgsgeschichten. Selbst im direkten Umfeld bei Facebook bekommen wir täglich zu sehen, worüber sich andere freuen und worauf sie stolz sind. Nichts wäre verfehlter, als dieser neuen Sichtbarkeit von Glück mit Neid und Missgunst zu begegnen. Missgunst ist das Hindernis auf dem Weg, selber nach mehr Glück zu streben. Der Erfolg und das Glück der anderen sollte uns darin bestätigen, was alles möglich ist.
Trägheit des Geistes — Die Technik soll ein Werkzeug unseres Geistes sein; unsere Möglichkeiten da erweitern, wo die rein menschliche Kapazität an ihre Grenzen stösst. Stattdessen lassen wir uns von unseren digitalen Dienern mehr und mehr beherrschen. Lassen zu, dass unser Geist erschlafft. «Es wäre eine Schande, wenn herausragende Technologie am Ende den Intellekt, der sie erschaffen hat, bedroht», schrieb der Sachbuchautor Edward Tenner bereits 2006 in der New York Times.
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