Leben und Überleben

Lebe ich im Netz ewig?

Der Tod ist eine binäre Operation. Die Lebendigkeit eines Menschen wechselt von 1 auf 0. Die ganze digitale Welt ist auf binären Operationen aufgebaut. Und doch hat diese eine, buchstäblich lebensverändernde, das Internet lange nicht interessiert. Der Tod seiner Nutzer war im Internet nicht vorgesehen. Das Internet ist dadurch aber nicht zum Paradies der Unsterblichen geworden, sondern vielmehr zu einem Kerker der Untoten.

Lebendige Menschen hinterlassen Spuren im Netz, die sie als tote nicht mehr beseitigen können. Zugangsdaten und Passwörter nehmen sie mit ins Grab. So können auch andere die Spuren nur schwer beseitigen. Wer schon in der Situation war, ein Mailkonto oder ein Facebook-Profil eines Verstorbenen löschen zu wollen, kennt die Hindernisse. Es fehlen die Standardabläufe, die eine Person nach ihrem Tod von ihren Verbindungen zur Welt lösen. Zivilamtseinträge, Bankkonten, Versicherungen, für all diese Dinge gibt es Regelungen, damit ein toter Mensch auch auf dem Papier aus dem Leben scheidet. Die virtuelle Persona aber lebt weiter.

Inzwischen haben verschiedene Unternehmen das Problem – und das Geschäft mit dem Tod – erkannt. So kann ich bei Legacylocker zu Lebzeiten gegen ein monatliches Entgelt alle meine Zugangsdaten und Passwörter deponieren und Vertrauenspersonen festlegen, die diese nach meinem Tod erhalten sollen. Wenn diese Personen bei Legacylocker meinen Tod bestätigen, werden die Daten freigegeben. Der digitalen Totenruhe steht dann nichts mehr im Wege. Ausser Google. Je länger, desto mehr finden sich von uns im Netz auch Spuren, über die wir selber keine Kontrolle haben. Dagegen hilft nur die Gelassenheit zu wissen, dass diese Spuren irgendwann von vielen neuen Spuren überdeckt werden. Und dass man selber die Erde dann ohnehin von unten sieht und sich um Irdisches nicht mehr allzu sehr kümmern muss.

Genau das Gegenteil, die virtuelle Unsterblichkeit, beabsichtigt der Service Death Switch. Während ich noch lebe, kann ich Nachrichten verfassen, die nach meinem Tod an bestimmte Personen verschickt werden. «Liebe Grüsse aus dem Jenseits» etwa oder «Ich vermisse euch auch» oder «Der Gärtner war’s!». Auch zum ersten, fünften oder zehnten Todestag kann ich eine Botschaft vorschreiben, die dann an mich erinnert. Im Umgang mit Death Switch ist allerdings Vorsicht geboten, der Dienst funktioniert über einen Totmannschalter. Wenn ich nicht alle drei Tage bestätige, dass ich noch lebe, werde ich für tot erklärt und der Newsletter from Hell wird verschickt. Wer sich eine digitale Auszeit gönnt (Siehe: «Wo kann ich mich von dem ganzen Technikwahnsinn erholen?») ist dann schneller virtuell tot, als ihm lieb ist.

Jeder hat seine eigenen Präferenzen zwischen virtueller Unsterblichkeit, digitaler Totenruhe und der Gleichgültigkeit eines Toten. Deshalb braucht es eine digitale Patientenverfügung. Solange wir leben und selber bestimmen können, sollten wir festlegen, wie mit uns umgegangen werden soll, wenn unser Körper tot, unsere virtuelle Persona aber noch lebendig ist. Analog zur medizinischen Patientenverfügung sollten wir in einem kurzen Dokument zu Handen von zwei Vertrauenspersonen festhalten, was mit unseren Profilen auf sozialen Netzwerken, unserer persönlichen Website und unseren E-Mail-Adressen geschehen soll. Damit jene Vertrauenspersonen, die nach unserem Tod unsere Zugangsdaten erhalten, auch wissen, was sie damit anstellen sollen.

Kurzbefehl von David BauerSie lesen einen Auszug aus dem Buch «Kurzbefehl. Der Kompass für das digitale Leben.» von David Bauer. Sie können das Buch jetzt bestellen, weiterstöbern, diesen Text kommentieren oder selber eine Frage zum digitalen Leben stellen. Ah ja, und via Facebook weiterempfehlen dürfen Sie es auch gerne.

Ich plädiere für eine gepflegte virtuelle Unsterblichkeit. Eine Präsenz im Netz über den Tod hinaus, die aber den Tod erkennbar macht. Natürlich muss nicht bei jedem meiner Texte, die im Netz veröffentlicht sind, plötzlich stehen: Der Autor ist jetzt tot, imfall. Texte können für sich alleine stehen, ob der Autor nun lebt oder nicht.

Ich denke vor allem an soziale Netzwerke, die darauf angelegt sind, dass Menschen miteinander kommunizieren können. Bei Facebook beispielsweise würde sich der Tod ganz natürlich in den gewohnten Fluss einfügen. «David ist jetzt tot.» «David nimmt an Davids Beerdigung teil.» «David ist der Gruppe ‹Dieser Himmel ist ja schön und gut, aber wo sind meine 72 Jungfrauen?› beigetreten». Wenn es nach Facebook ginge, wäre der Tod eines Mitglieds tatsächlich nichts weiter als eine zusätzliche Profilinformation. Ort: Basel, politische Einstellung: liberal, Lebendigkeit: nein. Facebook sieht die Profile von Verstorbenen als Erinnerungsprofile, die deshalb nicht gelöscht werden. Natürlich ist es nicht an Facebook, dies zu entscheiden. Wer in seiner digitalen Patientenverfügung festhält, dass sein Profil gelöscht werden soll und sein Passwort nicht mit ins Grab nimmt, macht es den Hinterbliebenen einfach.

Falsch ist die Überlegung von Facebook aber keinesfalls. Im Gegenteil. Was spricht dagegen, auch nach seinem Tod inmitten seiner Freunde zu bleiben? Das Profil wird zum virtuellen Grabstein, ein Ort der Erinnerung für all jene, die sich an einen erinnern möchten. Anstatt an den Geburtstag werden die Freunde dann jährlich an den Todestag erinnert. Um Missverständnissen vorzubeugen, muss sich das Profil optisch von anderen unterscheiden. Und bestimmte Funktionen müssen deaktiviert werden, etwa damit der Verstorbene nicht weiterhin zu Partys eingeladen wird. Oder laufend «angestupst» wird.

Die Vorstellung, auf diese Weise nach dem Tod im Netz weiterzuleben, gefällt mir. Andere werden es geschmacklos oder unnötig finden. Chacun à son goût. Damit es so kommt, wie wir das wollen, braucht es die digitale Patientenverfügung.

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