Gut und Böse

Richtet das Internet unsere Sprache zu Grunde?

Von: David Bauer
An: Alle, die geneigt sind, die Frage mit Ja zu beantworten
Betreff: Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm!

Liebe Sprachkritiker

Euch ist die Sprache der Internetgeneration ein Graus. Da werden Abkürzungen und Anglizismen, Ellipsen und Mundart in einem Masse verwendet, dass euch schwindlig wird. In einer Art, die euch erschaudern lässt. Ihr schaut auf Chats, Tweets und Kurznachrichten und seht am Horizont die Sprache untergehen. Ihr ahnt Böses, fürchtet das Schlimmste und mahnt zu einer Rückbesinnung auf die korrekte Sprache.

Welche Sprache denn? Jene, die seit Jahrhunderten unverändert perfekt ist und darum um jeden Preis in ihrer edlen Form bewahrt werden muss? Was ihr heute als Heiligen Gral verteidigt, ist selber nur entstanden, weil Sprache dynamisch ist. Die heutige Sprache ist Produkt einer ständigen Weiterentwicklung, die ihr nun aufhalten möchtet, als wäre die Sprache an einem idealen Endpunkt angelangt. Sprache verändert sich, das hat sie immer schon getan. Nicht, weil böse Mächte wie die Jugend oder das Internet sie verhunzen, sondern weil die Sprache ihren ersten Zweck nicht in sich selber hat, sondern in der Kommunikation zwischen Menschen. Sie will von einem Menschen zum anderen kommen. Dafür sucht sie sich wie Wasser den einfachsten Weg.

Wenn ihr die jungen Menschen für ihren Gebrauch der Sprache kritisiert, wenn ihr ihnen vorwerft, sie würden sie nicht richtig verwenden, sie gar kaputt machen, dann beweist ihr damit nur eins: Ihr habt nicht verstanden, was Sprache ist. Sprache ist nicht das, was Regelwerke den Menschen vorschreiben. Sprache ist das, was Menschen verwenden. Die Sprache wird nicht durch Regeln geformt, sondern durch ihren Gebrauch.

Was ihr als unvollkommene Sprache brandmarkt, ist nichts anderes als ein spielerischer Umgang damit. Der nicht von Ignoranz gegenüber korrekter Sprache zeugt, sondern von der Lust am selbständigen Gebrauch. So wie ein Musiker Brahms nicht verunglimpft, wenn er eine seiner Symphonien nicht exakt nachspielt, sondern frei interpretiert.

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Sprache lebt! Ihr aber wollt sie ins Museum stellen, hinter Vitrinen. Und am liebsten die Zeit anhalten. Als würdet ihr dem Museum of Modern Art vorschreiben, dass es keine neue Objekte in seine Sammlung aufnehmen soll. Wir sollen die Sprache ehrfurchtsvoll bestaunen und mit Handschuhen anfassen, wenn wir sie gebrauchen wollen. Kein Wunder, machen da die jungen Menschen nicht mit. Sie sind in euer Sprachmuseum eingebrochen, haben die Kunstwerke aus ihren goldenen Rahmen gerissen und auf die Strasse geholt. Aber wisst ihr was? Sie machen sie nicht kaputt. Sie gestalten sie um und haben Freude daran.

Findet euch damit ab, die Sprache gehört euch nicht. Sie gehört allen und jeder darf sie so verwenden, wie es ihm passt. Die Grenzen setzt einzig die Kommunikation. Wer nicht verstanden wird, passt seinen Sprachgebrauch früher oder später von alleine an. Niemand braucht euch, um die Sprache zu retten. Im Gegenteil, wir müssen unser Möglichstes tun, um die Sprache vor eurem elitären Zugriff bewahren.

Hochachtungsvoll & à+ ;-)
DB

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