Soll ich die grosse Liebe im Netz suchen?
Mama, erzähl doch mal, wie du und Papa euch kennen gelernt habt. Die Frage ist so alt wie die kindliche Neugier. Jetzt, da sich die Internetgeneration fortpflanzt, werden die Antworten langweiliger. Immer mehr Eltern werden ihren Kindern antworten: im Internet. Die Kinder werden es zur Kenntnis nehmen und nicht weiter nachfragen. Weil: Ist ja langweilig. Ganz normal. In der Schweiz hat jeder und jede Siebte schon einmal eine Partnerin über das Internet gefunden, in Deutschland gar jeder Fünfte.
Ganz in der Normalität ist die Partnersuche über das Internet noch nicht angekommen. Sie befindet sich in einer Übergangsphase. Die Hemmschwelle ist gesunken, jeder und jede zweite Single hierzulande hat es schon ausprobiert. Und doch hängt ihr noch ein negatives Image an. Wer im Internet nach einem Partner oder einer Partnerin Ausschau hält, muss ziemlich verzweifelt sein. Dort treffen sich jene, die im richtigen Leben bislang erfolglos geblieben sind. Die Partnerbörse im Netz ist der Wühltisch des Singlemarktes. Sagen die Skeptiker.
Der Realität entspricht dies schon länger nicht mehr. Das Internet ist ein ganz normaler Teil unseres Alltags geworden, ganz normale Menschen (so normal es halt geht) bewegen sich darin und suchen nun auch dort nach Partnern. Wenn man nicht gerade eine Partnerbörse wie Rubensfan («für dicke Frauen und ihre Bewunderer») oder das Heiratsportal für Katholiken zum Massstab nimmt, so entspricht die Klientel einer Online-Partnerbörse wohl dem Durchschnitt der Bevölkerung. Damit fällt der wichtigste Grund weg, der lange Zeit gegen Online-Partnerbörsen gesprochen hat: die Anhäufung schlechter Risiken, wie es ein Versicherungsfachmann bezeichnen würde.
Die Vorteile einer Partnersuche über das Netz liegen auf der Hand. Ich kann sagen, was ich suche, und die Maschine sortiert für mich vor, wer überhaupt in Frage kommt. Falsche Hoffnungen (der Klassiker: grosse Liebe versus ungezwungene Affäre) und böse Überraschungen («meine grösste Liebe gilt Jesus Christus») werden so automatisch eliminiert, gleichzeitig findet die Datenbank interessante Menschen, denen ich nicht sofort ansehen würde, wie gut sie zu mir passen. Und das mit immer ausgefeilteren Methoden. Persönlichkeitstests gibt es schon lange, heute werden potenzielle Paare auch auf Grund von Duftprofilen oder passenden Genen mit einander bekannt gemacht.
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Man erspart sich viel Zeit und Nerven, indem man auf das trial and error verzichten kann, um das man beim ersten Schritt in der freien Wildbahn nicht herumkommt. Es muss mir auch erst mal jemand die Bar zeigen, in der ich auf einen Schlag auf zehn Frauen treffe, die potenziell gut zu mir passen würden (und – falls mir jemand diese Bar zeigt – wie ich die alle gleichzeitig näher kennenlerne, ohne es mir gleich bei allen zu verspielen). Alles gute Argumente; hinzu kommt der priceless-Faktor: einmal ein gutes Foto von sich ins Profil stellen und danach in Trainerhose und Schlabbershirt flirten.
Es spricht also nichts dagegen, die Partnersuche zumindest auf den virtuellen Raum auszuweiten. Im Gegenteil, die pragmatischen Gründe dafür sind geradezu bestechend. Nur eines muss man in Kauf nehmen: dass man gnadenlos verkuppelt wird. Ein Algorithmus sortiert für einen die möglichen Partnerinnen vor und organisiert die erste virtuelle Begegnung. Die Magie der zufälligen Begegnung, bei der zwei Menschen von sich aus spüren, dass das etwas werden könnte, sie wird eliminiert.
Die Partnersuche übers Netz ist radikal pragmatisch – nichts mit Liebe auf den ersten Klick. Natürlich möchte man in der Liebe idealerweise finden, ohne zu suchen. Das ist letztlich nichts weiter als eine romantische Spitzfindigkeit. Auf der Partnerbörse möchte man primär eins: finden. Wer eine Beziehung möchte, für den ist das Ziel das Ziel. Warum sollte der Weg dorthin nicht auch über das Netz gehen? Schwer genug ist er ohnehin.
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