Trends und Zukunft

Technologie: eine heitere Geschichte des Irrtums

Si tacuisses, philosophus mansisses – Hättest du geschwiegen, wärst du ein Weiser geblieben. (Lateinisches Sprichwort)

Der Weg in die digitale Welt von heute ist gepflastert mit Irrtümern von gescheiten Menschen. So manche technische Neuerung, die später die Welt erobern sollte, wurde masslos unterschätzt. Anderem wurde eine immense Durchschlagskraft bescheinigt, die nie eintrat. Wenn heute ein Superlativ den nächsten jagt, so ist es beruhigend zu wissen, dass der Irrtum stets ein treuer Begleiter des Fortschritts war und bleiben wird.

So begann die Geschichte des Internets mit einer genauso präsidialen wie kolossalen Fehleinschätzung. Als Graham Bell 1876 dem damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten Rutherford B. Hayes das erste Telefon vorstellte, das viel später dem Internet den Weg ebnen sollte, meinte dieser: «That’s an amazing invention, but who would ever want to use one of them?» Er hat damit geradezu eine Blaupause geschaffen, um technische Neuerungen mit lobenden Worten abzutun. Allen Fortschritts-Skeptikern sollte Rutherfords Fehleinschätzung eine Lehre sein, Neues niemals zu unterschätzen, vor allem nicht, wenn sie selber erkennen, dass es «eine grossartige Erfindung» ist. Wie die Geschichte jedoch zeigt, haben wenige daraus gelernt. Selbst Erfinder und Fachleute haben sich reihenweise beim Potenzial grosser Neuerungen vertan.

Vollkommen richtig lag die amerikanische Fachzeitschrift Popular Mechanics, als sie 1949 mit einer Berechnung zum Schluss kam: «Computer der Zukunft werden nicht mehr als 1,5 Tonnen wiegen.» Dass man den Computer der Zukunft in Form eines 100 Gramm schweren Smartphones in der Hosentasche mit sich herumtragen wird, hätte sie wohl dennoch erstaunt. So schnell macht die Zeit aus einer kühnen Prognose eine unfreiwillige Pointe. Ende der 70er Jahre waren Computer bereits leichter als Elefanten, dennoch gab sich der Präsident der Digital Equipment Corporation, Ken Olson, 1977 noch überzeugt: «Es gibt keinen Grund dafür, dass jemand einen Computer zu Hause haben will.» Als er diese Weisheit sprach, war ein anderer bereits widerlegt worden. Ein amerikanischer Verleger hatte 1957, nachdem er sich nach eigenem Bekunden mit den schlausten Menschen des Landes unterhalten hatte, die elektronische Datenverarbeitung für eine Modeerscheinung erklärt, «die kein Jahr überdauern wird». Den Verlag gibt es noch heute; auch dort will man, wie ein Blick auf die Website zeigt, die Modeerscheinung aus den 50er Jahren nicht mehr missen.

Auch jenes kleine Ding, das die elektronische Datenverarbeitung erst so richtig in Schwung brachte, musste zu Beginn untendurch. «What the hell is it good for?», kommentierte IBM-Ingenieur Robert Lloyd 1968 den Mikroprozessor. Ausgerechnet im Jahr der bewusstseinserweiternden Substanzen bewies er einen eingeschränkten Horizont. 95 Jahre nach Rutherford mit dem Telefon war er exakt in dieselbe Falle getappt.
Ein anderer war zu jener Zeit umso zuversichtlicher unterwegs. Herbert A. Simon, einer der Pioniere im Feld der künstlichen Intelligenz, war sich in den 60er Jahren sicher, dass «innert zwanzig Jahren Maschinen alles werden tun können, was der Mensch kann.» Heute, nochmals 25 Jahre später, warten wir noch immer darauf, dass eine Maschine echte Emotionen zeigen kann. Oder uns ein Bier vor den Fernseher bringt.

Wir warten auch noch immer auf das viel beschworene, nie gesichtete papierlose Büro. In den 70er Jahren war es uns erstmals versprochen worden, ziemlich überzeugend, vom Palo Alto Research Center. «Das zeitraubende Hin- und Hergeschiebe von Papier wird im Büro der Zukunft durch Informationsverarbeitung mit Computer ersetzt», hiess es in einem Prognosepapier. Nun, vielleicht haben wir die Prognose einfach dahingehend falsch verstanden, dass das damals skizzierte Büro der Zukunft schon heute Realität sein solle. Vielleicht hat man aus Palo Alto viel weiter in die Zukunft geschaut. Im Büro der Gegenwart jedenfalls fliegt mehr Papier denn je herum, Internetausdrucker ist nicht zufällig zum Schimpfwort avanciert und E-Mails brauchen noch immer eine Erinnerung in der Signatur, dass man an die Natur denken solle, bevor man sie ausdruckt.

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Apropos E-Mail: «Ein absolut unverkäufliches Produkt», befand 1979 der Softwareentwickler und Berater Ian Sharp. Heute werden jeden Tag rund 300 Milliarden E-Mails verschickt, eine Geschäftswelt ohne E-Mails ist ausserhalb jeder Vorstellungskraft. Oder wie die Journalistin June Kronholz schön sagte: «Diamonds are forever. E-mail comes close.» Dass man sich auch in jüngerer Zeit in Sachen E-Mails noch verschätzen kann, bewies ein gewisser Bill Gates. Er versprach 2004, Spam sei «in zwei Jahren ein Ding der Vergangenheit» (Siehe: «Warum verschwindet Spam eigentlich nie?») Vielleicht wäre uns Spam ganz erspart geblieben, wenn E-Mail nie erfunden worden wäre. 1959 sah der Chef der amerikanischen Post, Arthur Summerfield, die Zukunft der Nachrichtenübermittlung in anderen Sphären. «Wir stehen an der Schwelle zur Raketenpost», meinte er.

Je schneller die technologische Entwicklung voranschreitet, desto brutaler ist die Realität zu den Prognostikern. Was natürlich auch in den letzten Jahren niemanden davon abgehalten hat, wissend über die Zukunft zu urteilen. Erst recht nicht einen, der sich selber «Zukunftsforscher» nennt. Und was wusste Matthias Horx 2001 über die Zukunft zu berichten? «Das Internet wird kein Massenmedium – weil es in seiner Seele keines ist.» Keine Zukunftsforscher, dafür immerhin Marktforscher sind die Leute bei Gartner. Sie sagten 2003 voraus, dass die Mobiltelefone der Zukunft mit Brennstoffzellen angetrieben werden. Wir warten noch darauf und erinnern uns daran, dass die Energieversorgung eigentlich schon viel weiter sein sollte: Hätte der Staubsaugerhersteller Alex Lewyt recht behalten, so wären seit den 60er Jahren Staubsauger mit Atomenergie auf dem Markt. Dann hätten die heutigen Technikwunder, wenn schon keine Seele, so immerhin einen strahlenden Kern.

Der Brite Sir Alan Sugar wurde mit seiner Technologiefirma zum Milliardär. Anderen traut er offensichtlich weniger zu. Im Februar 2005, als apple-Jünger und viele mehr vom iPod längst verzückt waren, verkündete er in einem Interview: «Bis Weihnachten ist der iPod tot. Finished, gone, kaput.» An besagten Weihnachten war der iPod nicht tot, sondern hatte sich total 174 Millionen Mal verkauft. Sugar war freilich nicht der Erste, der Apple unterschätzt hat. «Apple ist tot», meinte der Chief Technology Officer von Microsoft 1997. Heute hat das nicht mehr ganz so tote Apple einen Börsenwert von rund 250 Milliarden – und ist damit mehr wert als Microsoft.

Doch nicht jeder, der sich irrt, muss sich später Spott anhören. Der Unternehmer Steve Chen dürfte sich über eine Fehlprognose im Nachhinein sogar diebisch gefreut haben. Als kurz nach der Gründung seiner Videoplattform fünfzig Filmchen auf der Seite zu sehen waren, gab sich Chen sehr skeptisch, ob sein Produkt etwas tauge. «Es gibt einfach nicht wirklich viele Videos, die ich unbedingt sehen möchte», meinte er. 19 Monate später kaufte Google seine Firma für 1,65 Milliarden Dollar, Chen kassierte geschätzte 350 Millionen. Heute werden auf youtube pro Tag über zwei Milliarden Videos abgerufen.

Die Moral von der Geschicht? Es kommt anders, als man denkt, und schneller, oder nicht. Alles in allem sollten wir froh sein, dass es den Irrtum gibt. Sonst wäre nämlich das Internet längst zu Grunde gegangen. Wie sagte der Elektrotechniker Robert Metcalfe Mitte der neuziger Jahre: «Ich sage voraus, dass sich das Internet bald zu einer Supernova aufbläht und 1996 katastrophal kollabieren wird.»

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