Verbindet uns die Technologie oder trennt sie uns?
Diese Geschichte muss von der Freundschaft im digitalen Zeitalter handeln. Die Freundschaft ist der Prüfstein für den digitalen Fortschritt. Macht er Freundschaften besser, ist er gut. Macht er Freundschaften schlechter, ist er schlecht. Technologie mag noch so viel Gutes hervorbringen, wenn sie die Menschen voneinander entfernt, schadet sie uns.
Das Internet ist ein Kommunikationsmedium. Freundschaften bauen auf Kommunikation auf. Dass die digitale Entwicklung unseren Freundschaften gut tut, scheint als Annahme also so verkehrt nicht. Und doch haben wir uns alle schon gefragt, was mit unseren Freundschaften im digitalen Zeitalter geschieht. Die Lustigen unter den Kulturpessimisten sagen dann: Die Leute von heute haben keine Freunde mehr, nur noch friends, diese dafür inflationär. Wenn die Kulturpessimisten statt lustig ein bisschen klug wären, würden sie sagen, die Leute von heute haben keine Freunde mehr, sie followen einander nur noch. Das wäre die stärkere Gegenüberstellung. Freilich genauso danebengegriffen.
Wer Friends mit Freunde übersetzt, vergisst, dass all diese sozialen Netzwerke aus den Vereinigten Staaten kommen. Und da ist man schnell friend mit jemandem, mit dem man zwei Worte gewechselt hat. Bei uns ist das eine Bekanntschaft. Habe ich 200 Freunde? Niemals. 200 Bekannte? Locker. Selbst Facebook-Gründer Mark Zuckerberg sagte einst in einem Interview: «Wer glaubt, dass jeder Facebook-Kontakt ein Freund ist, der weiss nicht, was Freundschaft bedeutet». Die Kulturpessimisten unter den Lesern sollten nun eine Pause einlegen, um ihre angeknackste Raison d’Être zu kurieren (Siehe: «Darf ich all dieses technische Zeugs einfach doof finden?»). Für alle anderen kommen wir nun zu den wirklichen Argumenten.
Die digitale Kommunikation verformt unsere Beziehungen zu Freunden und Bekannten tatsächlich. Die technische Erreichbarkeit eines Menschen trägt ihren Teil dazu bei, wie nahe mir jemand ist. Nicht emotional, sondern rein praktisch. Wie viel er oder sie von meinem Leben mitbekommt, wie oft wir uns austauschen. Wer meine bevorzugten Kommunikationskanäle nicht nutzt, verblasst auf dem Radar. Über längere Zeit prägt dies auch, wie nahe mir jemand emotional ist. Natürlich entferne ich mich nicht von einem sehr guten Freund, bloss weil er nicht auf Facebook ist und Skype nicht nutzt. Und niemand wird zum gutem Freund, bloss weil er die gleichen Kommunikationskanäle wie ich nutzt. Aber von zwei Menschen, die mir heute emotional gleich nah stehen, wird sehr wahrscheinlich jener mir nach sechs Monaten näherstehen, der mehr Kommunikationskanäle mit mir teilt. Oder ich habe im regen Kontakt genügend Gründe gefunden, warum das genau nicht so sein sollte.
Sie lesen einen Auszug aus dem Buch «Kurzbefehl. Der Kompass für das digitale Leben.» von David Bauer. Sie können das Buch jetzt bestellen, weiterstöbern, diesen Text kommentieren oder selber eine Frage zum digitalen Leben stellen. Ah ja, und via Facebook weiterempfehlen dürfen Sie es auch gerne.
Mit E-Mail und Mobiltelefonen hat diese Entwicklung ihren Anfang genommen. In den Jahren, in denen sich die beiden Technologien von Nischen- und Standard-Kommunikationskanälen entwickelt haben, haben sie ihre volle Ausschlusswirkung entfalten können und gleichzeitig Bindungen gestärkt zwischen jenen, die dabei waren. Wenn ich abends unterwegs war, habe ich jene Bekannten oder Freunde noch zu einem letzten Bier getroffen, die auch ein Handy hatten (um ganz genau zu sein: viele letzte Biere wurden vermutlich ohne mich getrunken, da ich selber lange kein Handy hatte). Heute sind E-Mail und Handy mit nahezu hundertprozentiger Verbreitung keine prägenden Faktoren mehr für freundschaftliche Beziehungen, stattdessen gibt es eine Fülle von neuen Kommunikationskanälen, die sich nun in jener Phase befinden, in der sie einen Graben aufreissen zwischen jenen, die sie nutzen, und den anderen, die sie nicht nutzen.
Dabei hat sich Facebook innert weniger Jahre zum Knotenpunkt der Online-Kommunikation unter Freunden und Bekannten entwickelt. Entsprechend gross ist heute sein Einfluss auf unsere sozialen Bindungen. Bei einer Verbreitung von je nach Altersgruppe bis zu 95 Prozent könnte man meinen, dass kaum mehr jemand auf dem Radar fehlt und deswegen in Vergessenheit gerät. Es ist bei Facebook vielmehr die unterschiedliche Intensität der Nutzung, die uns zu manchen Bekannten einen direkteren Draht gibt als zu anderen. Die einen schauen einmal pro Woche rein, andere loggen sich mehrmals täglich ein und kommentieren rege, was andere veröffentlichen. Neben Facebook gibt es eine Menge weiterer digitaler Kommunikationskanäle, die uns mit jenen verbinden, die sie ebenfalls nutzen, seien das Xing, Twitter, Skype, Netlog, MSN oder Handyapplikationen, die kostenlose SMS oder Anrufe erlauben. Je mehr Kommunikationskanäle wir mit jemandem teilen, desto grösser die Chance, dass wir effektiv in der einen oder anderen Form mit ihm in Kontakt bleiben.
Wirklich erfreulich klingt das nicht. Die Technik bestimmt mit, welchen Freunden und Bekannten wir nahestehen und welche wir dann und wann vom Radar verlieren. Wir müssen das als Fakt hinnehmen. So schlimm ist es nicht. Die Technologie trennt uns erst in dem Moment, da wir reale Kommunikation durch rein virtuelle ersetzen und wertvolle Kontakte abbrechen lassen, nur weil der digitale Kitt fehlt.
In aller Regel verbindet uns die Technologie mehr, als sie uns trennt. Sie schafft neue Ebenen der Kommunikation und ermöglicht so für jede Art von Beziehung die passende Nähe. Die feinere Unterteilung in verschiedene Ebenen kommunikativer Nähe bedeutet, dass die meisten Beziehungen auf die nächsthöhere Ebene gehoben werden. Jenes Gros an Leuten, die ich zwar kenne, mit denen ich aber nur in Ausnahmefällen direkt Kontakt aufnehme, ist nun auf meinem Facebook-Nachrichtenradar. Ich weiss, was bei ihnen so läuft, sie wissen, was mich gerade umtreibt. Wenn sich eine Schnittstelle ergibt, findet ein kurzer Austausch statt. Bevor es diese Möglichkeit gab, ganz punktuell zu kommunizieren, beschränkte sich der Kontakt mit diesen Leuten auf nutzlosen Smalltalk, wenn man sich zufällig begegnete.
Auch am anderen Ende des Spektrums hat die Technologie neue Ebenen der Kommunikation geschaffen. Bei sehr guten Freunden nutze ich das ganze Arsenal an Kanälen, vom Treffen bei einem Glas Rotwein über SMS und Skype bis zum «Like» bei ihren Facebook-Statusmeldungen, um noch intensiveren Kontakt mit ihnen zu pflegen. Bei manch einer oder einem, auch bei mir selber, zeigen sich in den neuen Kanälen neue Facetten, die bisher verborgen geblieben sind. Denn jede Technologie beeinflusst auch unsere Art zu kommunizieren.
So zieht sich das durch, von flüchtigen Bekanntschaften bis zu besten Freundinnen und Freunden. Ich habe mit allen etwas mehr Kontakt, als ich es ohne all meine technischen Hilfsmittel hätte. Das entscheidend Neue ist, dass der Kontakt nie komplett abbricht und später wieder aktiviert werden muss, sondern nieder schwellig stets vorhanden ist. So fällt es wesentlich leichter, ihn in jenen Momenten zu intensivieren, in denen man das möchte.
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