Leben und Überleben

Was ist an diesem iPhone so toll?

Um zu verstehen, worin die Faszination des iPhone liegt, müssen wir es nicht anschauen, sondern darüber hinausblicken.

Das iPhone wollte nie einfach ein Gerät sein, schon gar nicht das, was es im Namen vorgibt zu sein: ein Telefon. Das iPhone ist ein Accessoire, das Lifestyle-Statement des digitalen Nomaden, der da zu Hause ist, wo er mit der Welt verbunden ist. Nur ein Mobiltelefon hatte davor eine so klare Botschaft ausgesandt: der Blackberry als Erkennungszeichen der Wichtigen und Vielbeschäftigten. Das iPhone präsentierte sich von Beginn weg als nonchalanter Gegenentwurf all jener, die Wichtigeres im Leben zu tun haben, als immer nur zu arbeiten.

Das iPhone mit seinen sanften Formen und dem gläsernen Touchscreen ist chic, es ist hip, es ist die formvollendete Verlängerung des narzisstischen Egos für die Hosentasche. Das man zur Hand nehmen kann und streicheln, wie es jedes Ego verlangt. Diese Qualität erklärt, wie das iPhone innert kurzer Zeit alle Augen auf sich ziehen und zum Objekt der Begierde werden konnte. Sie erklärt aber nicht, warum es diesem funkelnden Stück Technik gelungen ist, unser Leben so nachhaltig in Beschlag zu nehmen. Egos sind launisch und flüchtig, was heute hip ist, ist morgen von gestern.

Dem iPhone ist es gelungen, sich unverzichtbar zu machen. Seine Geschichte erzählt von der Reise zum Mittelpunkt unseres sozialen Lebens. Kein anderes Gerät hat sich je so fest in unseren Alltag eingeflochten und unser Verhalten geprägt. Indem es nicht Bedürfnisse befriedigt, sondern neue in uns geweckt hat. Als erster massentauglicher Taschencomputer hat es uns ein Verhalten angewöhnt, das ohne iPhone nicht mehr auskommt. Auf alles, was uns das iPhone bietet, konnten wir davor gut verzichten. Nun wollen wir nicht mehr. Das kleine Ding hat sich als ständiger Begleiter an unsere Seite geheftet, der in jeder erdenklichen Situation mit Rat und Tat zur Seite steht.

Es ist die Partnerin, die in den Ferien an die Karte gedacht hat und weiss, wo es langgeht. Es ist der grosse Bruder, der jederzeit alles weiss, als wäre er Google. Es ist die Musikkennerin, die immer weiss, wie jener Ohrwurm heisst, der jetzt in der Bar gerade läuft, die gute Freundin, die uns einflüstert, was «Ich mag dein Kleid» auf Französisch heisst. Es ist der Connaisseur, der immer ein gutes Restaurant zu empfehlen weiss, der pflichtbewusste Kumpel, der auch nach einer durchzechten Nacht den Zugfahrplan auswendig kennt. Es ist der Fitnesstrainer, der uns für die Badesaison in Form bringt, und die beste Freundin, die hilft, die richtigen Kleidungsstücke zu kombinieren. Es ist Mutti, die für uns an alles denkt. Und es ist das beste Baby der Welt, das Papa nur in den richtigen Schlafphasen aufweckt.

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All diese Rollen kann das iPhone spielen, weil es Teil eines riesigen Ökosystems an Applikationen ist, jener über 250 000 Programme, die dem Gerät mal diese, mal jene Seele einhauchen und das iPhone zu dem machen, was es ist: ein treuer Compagnon, viel mehr als ein Gerät, fast ein bisschen menschlich. Es ist nicht wie der Blackberry ein tumber Arbeitssklave, es ist all jene Menschen, die uns wichtig und wertvoll sind. Weil es das ist, fügt es sich beinahe nahtlos in unser soziales Leben ein.

Auch in geselliger Runde ist das iPhone kein Fremdkörper mehr, sondern gern gesehener Gast. Denn der kleine Begleiter tauscht sich auch gern mit anderen Menschen aus, selbst mit solchen, die keine Begleitung dabeihaben, sondern und nur ein gewöhnliches Handy. Kommt das Gespräch auf den neuesten YouTube-Hit, ist klar, dass ein iPhone ihn kurz all jenen in der Runde abspielt, die ihn noch nicht gesehen haben. Schmiedet man gemeinsam Pläne für den nächsten Tag, ist es völlig normal, dass ein iPhone kurz den Wetterfrosch mimt. Mehr noch, wir alle haben schon Situationen erlebt, in denen das kleine Schwarze zum Star der Runde geworden ist. Etwa, wenn es sich in den Flaschengeist Akinator verwandelt und jede Person errät, an die man denkt. Oder wenn sich plötzlich alle als fingerfertige Fluglotsen bei Flight Control überbieten wollen und gebannt auf die Landebahnen auf dem kleinen Bildschirm blicken.

Aus dem einstigen Luxusartikel für Narzissten und Technophile wird zunehmend eine tägliche Notwendigkeit. Seit seiner Geburtsstunde Anfang 2007 hat Apple weltweit über sechzig Millionen iPhones verkauft, die Eidgenossen sind dem Ding so sehr verfallen wie keine andere Nation, geschätzte 850 000 wurden in der Schweiz schon verkauft. Gefühlt sind es noch mehr, weil unter den sieben Millionen Handys, die schweizweit in Gebrauch sind, die iPhones bei weitem am sichtbarsten sind. Weil sie nicht Geräte sind, die man mit sich herumträgt, sondern Begleiter, die man bei sich hat.

Es erstaunt wenig, dass alle anderen Hersteller von Mobiltelefonen inzwischen das «Prinzip iPhone» kopiert haben: ein Gerät in edler Form, das direkt über Bildschirmberührungen gesteuert wird und mit einem Ökosystem an Programmen verknüpft ist, die jedem Benutzer das geben, was er will und braucht. Einzelne Geräte bieten bereits heute mehr als das iPhone, doch als Gesamtpaket, inklusive der Apple-Aura und des Bonus des Erstgeborenen, bleibt es unangetastet. Und selbst wenn irgendwann das iPhone in seiner exklusiven Rolle an unserer Seite abgelöst werden sollte, dann nur von einem Gerät, das das «Prinzip iPhone» noch besser verwirklicht und sich noch unentbehrlicher macht.

Der tiefschürfende Schnitt, der ist vollzogen. Was einst ein Mobiltelefon war, haben wir so tief in unser Leben integriert, dass es uns in nahezu jeder Lebenssituation begleitet. Wie sehr, das erlebt der iPhone-Besitzer immer dann, wenn der Akku leer ist, der treue Begleiter schläft. Für ein paar Momente ist er dann ganz alleine. Ganz alleine unter Menschen.

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