Stil und Anstand

Wie schnell muss ich auf eine Nachricht reagieren?

Wer die Nazis besiegen kann, der sollte auch mit einem SMS fertig werden. Darum holen wir uns für diese Frage Rat bei Dwight D. Eisenhower, Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte in Europa während des Zweiten Weltkriegs und späterer Präsident der Vereinigten Staaten. Von ihm stammt das Eisenhower-Prinzip, eine bewährte Methode des Zeitmanagements. Sie wird uns weiterhelfen, wenn es zu entscheiden gilt, innert welcher Frist ein SMS, ein E-Mail, eine Chat-Nachricht beantwortet werden muss.

Rein subjektiv betrachtet scheint es, als würde mit jeder neuen Kommunikationsform, die der technische Fortschritt mit sich bringt, die erlaubte Reaktionszeit verkürzt. Bis zu jenem Punkt, an dem wir heute stehen, wo mediale Kommunikation in Echtzeit stattfindet und die Zeit zwischen Nachricht und erwünschter Antwort gegen null strebt. Der Eindruck täuscht. Wie lange wir uns Zeit lassen dürfen, auf eine Nachricht zu antworten, hat nichts mit dem Kanal zu tun, über die sie uns erreicht. Sondern einzig und alleine mit dem Inhalt der Nachricht.

Käme eine Brieftaube angeflogen, um Ihnen mitzuteilen, dass ein Freund in einer Felswand festhängt, wäre rasches Reagieren angezeigt. Erhalten Sie ein E-Mail von einem Arbeitskollegen, der Ihnen eine «total witzige» Powerpoint-Präsentation weiterleitet, müssen Sie sich mit Ihrer Antwort nicht beeilen.

Das Übermittlungsmedium spielt nur dann eine Rolle, wenn Sie sich rausreden wollen, Sie hätten die Nachricht nicht oder erst verspätet erhalten. Wer weiss schon, ob und wann eine Brieftaube angekommen ist? Ein SMS dagegen erreicht den Empfänger in aller Regel schnell und zuverlässig. Und wer gerade bei Facebook fleissig Statusmitteilungen in sein Profil schreibt, aber auf eine Chatnachricht nicht antwortet, kann nicht geltend machen, er hätte die Nachricht nicht gesehen.

Doch wollen wir uns hier mit den tatsächlich erwünschten Antwortzeiten befassen, nicht mit möglichen Tricks, sie zu verlängern. Eisenhower war schliesslich ein Mann der Disziplin. Seine Methode diente dazu, anstehende Aufgaben so zu priorisieren, dass sie gut zu bewältigen waren. Eine eingehende Nachricht ist nichts anderes als eine Aufgabe, die es zu bewältigen gilt.

Zwei Fragen gilt es nach Eisenhower zu beantworten. 1. Ist die Nachricht wichtig oder nicht? 2. Ist sie dringend oder nicht? Daraus ergibt sich eine Matrix mit vier Handlungsempfehlungen.

Wichtig und dringend: Unverzüglich antworten  —  In diese Kategorie fallen alle Nachrichten, bei denen ein längeres Zögern unweigerlich eine grosse Katastrophe für den Absender, Sie selber oder die ganze Welt bedeuten würde. Hier gilt es, nach Kenntnisnahme die aktuelle Betätigung zu unterbrechen und unverzüglich zu antworten, es sei denn, dies hätte eine noch grössere Katastrophe zur Folge.
—  Ein Bekannter schreibt: Beide Beine gebrochen, Urwald, Papua-Neuguinea. Help!  
—  Ein Freund schreibt: Lust auf ein Bier, jetzt, sofort?  
—  Der Chef schreibt: Wir haben da ein kleines Problem …  
—  Die Freundin schreibt: Wo steckst du?

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Wichtig und nicht dringend: Gelegentlich antworten  —  Der Inhalt dieser Nachricht ist von Bedeutung, für Sie, den Absender oder für beide. Es eilt allerdings nicht so sehr mit der Antwort, je nachdem ist sogar etwas Bedenkzeit ratsam.
—  Eine Freundin schreibt: Ich habe mich in dich verliebt.
—  Mutter schreibt: Wann sehen wir dich mal wieder?
—  Der Chef schreibt: Ich bin gespannt auf deine Analyse.
—  Der beste Freund schreibt: Lass uns Ferien planen!

Nicht wichtig und dringend: Zeitnah oder gar nicht antworten  — Der Inhalt der Nachricht ist weder für Sie noch für den Absender von grosser Bedeutung. Er verliert seine Bedeutung komplett, wenn Sie nicht schnell antworten. Entweder es passt Ihnen gerade, dann antworten Sie. Oder sonst vergessen Sie die Sache. Falls sie doch wichtiger sein sollte, als Sie dachten, wird der Absender sich nochmals melden.
—  Ein Bekannter schreibt: Bin gerade in der Gegend, Zeit für einen Kaffee?
—  Ein Freund schreibt: Wie hiess nochmal die Band von gestern? Kollege fragt.
—  Der Mitbewohner schreibt: Soll ich dir aus dem Supermarkt was mitbringen?
—  Mike Shiva sagt: Rufen Sie mich jetzt an.

Nicht wichtig und nicht dringend: Joker  —  Die beste Kombination. Hier sind Sie frei zu wählen, was Sie tun wollen. Am besten lassen Sie die Nachricht eine Weile liegen. Falls Sie sie nach einer Woche nicht vergessen haben, antworten Sie darauf. Nötig ist das aber nicht.
—  Facebook schreibt: Irgendein Idiot will dein Freund werden.
—  Schwester schreibt: Nicht vergessen, Onkel Urs hat in vier Wochen Geburtstag.
—  Der Idiot von Facebook schreibt: Ey altes Haus, wie geht’s?

Ein caveat zum Schluss: Es wird immer wieder vorkommen, dass der Absender einer Nachricht diese für wichtiger und dringender hält, als Sie das eingeschätzt haben. Das Urteil über Ihre Reaktionszeit fällt letztlich immer der Absender. Lassen Sie sich davon nicht verrückt machen, Sie haben mit Eisenhower eine Figur von historischer Grösse auf Ihrer Seite. Beharren Sie darauf, dass Sie im Recht sind. Und beschimpfen Sie Ihr Gegenüber als Kommunikations-Nazi.

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