Darf ich all dieses technische Zeugs einfach doof finden?
Ja, unbedingt. Ist ja langweilig genug, dass alle Kinder Lokführer, Tierärztin und Germany’s Next Topmodel werden wollen. Da darf man sich als gestandener Erwachsener dann durchaus mal als freiberuflicher Kulturpessimist durchs Leben schlagen. Alleine sind Sie damit bei weitem nicht. Kulturpessimismus ist gerade ziemlich en vogue, was wohl so manchen Kulturpessimisten gleich in die erste Existenzkrise führen dürfte. Trends sind verdächtig, früher war schliesslich alles besser.
Nun, Sie wollen Kulturpessimist sein. Sich dem heiligen Kleinkrieg gegen den technischen Fortschritt verschreiben. Eine weise Entscheidung. Wie damals in der Schule, als Sie Fussball zu einem dumpfen Proletensport erklärt haben, weil Sie nie mitspielen durften.
Der Kulturpessimist stilisiert sein eigenes Unvermögen zur stolzen Grundhaltung. Er verklärt das Vergangene, weil er nicht fähig ist, Veränderung mitzumachen. Er erhebt seine eigene Ratlosigkeit zum Prinzip, um sich jenen überlegen zu fühlen, die optimistisch in die Zukunft blicken. Er greift zur Keule der Fundamentalkritik, weil er die Entwicklung nicht gut genug versteht, um das zu kritisieren, was es wirklich zu kritisieren gilt.
Dabei hätten die Kulturpessimisten gar nicht so schlechte Argumente in der Hand. Die rasant fortschreitende Technik wirft eine Menge Fragen auf. Die meisten von uns stellen sich diesen Fragen nicht, weil die Fragezeichen in einer überwältigenden Dichte und Geschwindigkeit daherkommen. Der Kulturpessimist aber stellt sich selber ins Abseits der Diskussion, indem er das Gesamtbild nicht mit feinen Pinselstrichen zu korrigieren sucht, sondern mit dem Wasserwerfer.
Die deutsche Autorin Kathrin Passig beschreibt im Artikel Standardsituationen der Technologiekritik die Erregungskurve des Kulturpessimisten in neun Schritten. Sie entlarvt den Kulturpessimisten als notorischen Wiederholungstäter. Als einen, der auf Twitter nicht anders reagiert als auf die Erfindung des Rades.
Sein Kreuzzug gegen das Neue beginnt stets mit einem verächtlichen «Wozu bitte soll denn das gut sein?», gleich nachgedoppelt mit «Wer will denn so was?» (Siehe: «Technologie: eine heitere Geschichte des Irrtums»). Diejenigen, die sich am Neuen interessiert zeigen, werden als «zweifelhafte und privilegierte Minderheiten» abgestempelt. Das Ganze ist «eine Mode, die wieder vorbeigeht», weiss der Kulturpessimist. Denn gut ist, was sich bewährt hat. Die Zukunft aber, die hat sich noch nicht bewährt, ist also tunlichst zu vermeiden.
Irgendwann kommt auch für den Kulturpessimisten der Punkt, wo das Neue nicht mehr einfach wegdiskutiert werden kann. Doch der Kulturpessimist wäre nicht Kulturpessimist, wenn er nicht auch darauf eine Antwort hätte. «Es wird sich absolut nichts ändern.» Denn, und das erkennt der Kulturpessimist natürlich sofort, das Neue ist «zwar gut, aber nicht gut genug». Der Kulturpessimist kritisiert wohlgemerkt nicht um seinetwillen, er sorgt sich um die anderen, die mit keinem so gefestigten Charakter und geschärften Intellekt gesegnet sind wie er selber. Sie alle «werden mit dem Neuen nicht umgehen können», werden verdorben, tragen Schäden davon. Und doch wollen sie die Mahnrufe des Erleuchteten nicht hören und rennen dem Neuen nach wie die Lemminge auf die Klippe zu. Der Kulturpessimist kramt nun den Knigge hervor. Wenn schon alle dieses Neue nutzen wollen, dann bitte mit der nötigen «Etikette», damit niemand anderes vom Neuen belästigt wird. Es ist der letzte Versuch des Kulturpessimisten, die Unterschiede zwischen sich und den anderen dadurch zu erklären, dass die anderen sonderbar sind.
Sie lesen einen Auszug aus dem Buch «Kurzbefehl. Der Kompass für das digitale Leben.» von David Bauer. Sie können das Buch jetzt bestellen, weiterstöbern, diesen Text kommentieren oder selber eine Frage zum digitalen Leben stellen. Ah ja, und via Facebook weiterempfehlen dürfen Sie es auch gerne.
Ist das Neue in der Masse angekommen, muss der Kulturpessimist zum vernichtenden Fazit anheben: Das Neue verändert unsere Kultur – unsere Sprache, unser Denken, unsere Umgangsformen – zum Schlechteren (Siehe: «Richtet das Internet unsere Sprache zu Grunde?»). Jetzt ist es zu spät. Nicht aber für den Kulturpessimisten. Der hat längst die nächste Neuerung entdeckt: «Wozu bitte soll denn das gut sein?»
Machen wir uns nichts vor. Der Kulturpessimist schlummert in jedem von uns. So wie in jedem von uns vermutlich ein Serienmörder schlummert. Darum: Ja, lassen Sie den Kulturpessimisten raus, bevor Sie noch zum Serienmörder werden.
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