Trends und Zukunft

Was wird in zehn Jahren sein?

Eins ist klar. In zehn Jahren werden wir über die Zukunftsvisionen von heute schmunzeln. Der Mensch kann zwar in die Zukunft sehen. Aber nur so weit, wie sie sich bereits abzeichnet. Oder falsch (Siehe: «Technologie: eine heitere Geschichte des Irrtums»). Die Chance, vorauszusehen, wo wir und unsere Technologie in zehn Jahren stehen, ist etwa so gross, wie wenn man das Internet schon hundert Jahre vorher hätte kommen sehen. Was sagen Sie, Jules Verne hat genau das getan, Mitte des 19. Jahrhunderts? Nun, dann steht einem kompetenten Blick in die Zukunft nichts im Wege.

Um zu sehen, wie viel sich in der Technologie in einem Jahrzehnt verändert, genügt ein Blick zurück ins Jahr 2000. Erinnern Sie sich? Mit Handys hat man telefoniert, unterwegs gab es kein Internet. Es gab kein Facebook, kein Wikipedia, kein YouTube, Google Street View schon gar nicht. Nicht einmal Gmail. Der iPod war noch nicht erfunden, iTunes ebensowenig, ein paar verrückte Kids haben Musik im Schneckentempo übers Internet getauscht. Überhaupt: Das Internet war unwegsames Gelände, in dem man hin und wieder Dinge nachgeschaut hat. Die dann doch falsch waren. Man ist auf der Oberfläche des Internets gesurft, nicht selber eingetaucht. Nun also der Blick zehn Jahre nach vorne, mit Jules Verne als Schutzheiligen. Das sind die grossen Trends der nächsten zehn Jahre:

Die zentralisierte Identität

Bereits heute haben wir an verschiedensten Orten im Netz Daten von uns hinterlegt. Name, Geburtsdatum, Kreditkartennummer, E-Mail-Adresse, Postadresse und vieles mehr (wer bei 23andMe mitmacht, hat gar seine DNA im Netz gespeichert). Zusammen ergeben sie das Abbild unserer Identität im Netz. In zehn Jahren, vermutlich bereits deutlich früher, werden diese Daten alle an einem Ort gespeichert sein. Entweder entscheiden wir uns freiwillig dazu, weil es praktisch ist, nicht zehn Accounts an verschiedenen Orten zu haben. Oder aber es ist bereits obligatorisch, weil Staaten zur Erkenntnis gekommen sind, dass sie so – «zum Wohle aller» – besser funktionieren können. Es ist dann eine Frage des Datenschutzes, inwieweit die Daten vernetzt werden dürfen und wer auf welche Informationen Zugriff hat. (Siehe: «Steuern wir auf die totale Überwachung zu?»)

Die Mobilmachung

Das Handy als multifunktionale Allzweckwaffe wird auch in zehn Jahren das zentrale Gerät sein. Es wird Kreditkarten und Bargeld ablösen, wird in der breiten Masse zum Generalabonnement, Flugticket und Eintrittskarte zum Konzert. Vor allem aber wird es unser persönlicher Radar für unterwegs, der Gefahren und Gelegenheiten erkennt. Verbunden mit speziell präparierten Linsen auf unseren Augen ist das Handy jederzeit in der Lage, zu sehen, was wir sehen, und wird diese Informationen so verarbeiten, dass sie für uns nützlich sind. Ausgehend von unseren persönlichen Daten und unserem Konsumverhalten, wird es je nachdem, wo wir uns gerade aufhalten, Empfehlungen abgeben; was wir uns ansehen könnten, welche Freunde wir treffen könnten, wo wir vergünstigt einkaufen können. Das Handy wird laufend gespiesen von unserer zentralen Identität und ihren Vernetzungen. Umgekehrt schärft es kontinuierlich unser Profil mit neuen Informationen und lässt unser Umfeld wissen, was wir tun.

Die Dominanz der Algorithmen

Schon heute schicken sich Algorithmen an, den gesunden Menschenverstand zu ersetzen. Wir vertrauen strikten Berechnungsformeln, wenn es darum geht, Empfehlungen für unser Handeln zu erhalten. Bücher, die uns interessieren könnten (Amazon), Songs, die wir als nächste gerne hören würden (iTunes Genius), Menschen, die wir kennen könnten (Facebook) – alles Algorithmen, die aus menschlichem Verhalten im Allgemeinen und unserem Verhalten im Speziellen unsere nächsten Bedürfnisse und Wünsche berechnen. Algorithmen werden in Zukunft unser Leben noch viel stärker durchdringen. Wir werden von intelligenten Gegenständen umgeben sein, unser eigener Verstand wird zur Entscheidungsinstanz zweiter Klasse degradiert. So wird unser Handy Alarm schlagen, wenn die Zahl der Grippefälle in unserem Umfeld, der aktuelle Zustand unseres Immunsystems und unsere Krankengeschichte darauf schliessen lassen, dass akute Erkrankungsgefahr besteht. Oder der Kühlschrank wird automatisch Bier bestellen, wenn wir viel Zeit erfolglos auf Online-Singlebörsen verbringen, melancholische Musik hören und abends jeweils Strom für den Fernseher brauchen.

Konvergenz von Medien und Inhalten

Die Grenzen zwischen verschiedenen Medien werden verschwinden. Fernsehen, Internet, Radio, Zeitungen, Magazine und Bücher werden wir alle auf demselben Gerät konsumieren, einer Weiterentwicklung dessen, was Apple dieses Jahr als iPad in den Massenmarkt eingeführt hat. Nur in besonderen Fällen werden wir noch auf das jeweilige spezialisierte Medium zurückgreifen. Damit wird die Vermischung von Inhalten aller möglichen Mediengattungen weiter vorangetrieben, neue Formen werden entstehen. So könnte die Tagesschau als Videospiel angeboten werden, in dem ein aktuelles Ereignis aus der Perspektive der Akteure miterlebt werden kann. Eine elektronische Zeitung könnte, nicht nur personalisiert, sondern, auf meine aktuelle Stimmung und mein Zeitbudget angepasst, die wichtigsten Informationen des Tages aufbereiten und dabei News zum Weltgeschehen, Neuigkeiten aus dem privaten Umfeld und persönliche To-Dos bunt durchmischen. Wenn die Medien als solche verschwinden, sind die Möglichkeiten grenzenlos. Es kommt zur Umkehr der Formel von Marshall McLuhan. Die Botschaft ist nun das Medium.

Der Spieltrieb

Spielerische Elemente sind ein starker Antrieb für menschliches Verhalten, deren Potenzial sich in den nächsten Jahren noch viel deutlicher entfalten wird. Das Konzept des homo ludens ist ein altes, bereits 1939 hatte der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga beschrieben, wie der Mensch sein Verhalten zunächst spielerisch erlernt und schliesslich ritualisert. Die rasanten technologische Entwicklung eröffnet eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten, gleichzeitig tragen spielerische Elemente dazu bei, neue Technologie anzunehmen. Als Google einen Dienst vorgestellt hat, mit dem Freunde sehen konnten, wo man sich gerade aufhält, war die Skepsis gross. Foursquare hat daraus ein Spiel gemacht, indem man Punkte und spezielle Auszeichnungen erhielt, wenn man regelmässig seinen Standort bekanntgab. Plötzlich waren die Leute gerne bereit, zu verraten, wo sie gerade sind. In naher Zukunft werden alle möglichen Gegenstände in unserer Umgebung mit Sensoren ausgestattet sein, die eine spielerische Interaktion ermöglichen. Meine Schuhe messen, wie viel ich mich bewege. Wenn ich mein Soll übertreffe, erhalte ich von der Krankenkasse einen Rabatt, wenn ich in einem Monat alle meine Freunde übertreffe, schenkt mir der Schuhhersteller das nächste Paar. Das Klavier bewertet uns jedes Mal, wenn wir darauf spielen, und zeigt unser aktuelles Level auf einem Display an, auf das jeder Gast einen prüfenden Blick werfen kann. Die Kinderzahnbürste merkt sich, ob sie regelmässig genutzt wird, und schaltet nach jeder erfolgreichen Woche ein neues Spiel auf dem Handy frei.

Die Gegenbewegung

Jede starke Bewegung ruft irgendwann eine Gegenbewegung hervor. Die technologische Entwicklung hat in den letzten Jahren einen derartigen Sog entwickelt, dass Reflexion und nachhaltige Kritik im nötigen Mass weder möglich noch erwünscht war. Erst langsam wächst das Bewusstsein für die persönlichen und soziokulturellen Veränderungen, die die moderne Technik mit sich bringt. Dieses wird sich in den nächsten zehn Jahren weiter manifestieren und konkrete Opposition zur jetzigen Technikgläubigkeit hervorrufen. Sie wird versuchen, den Fokus vom technologisch Machbaren auf das gesellschaftlich Wünschenswerte zu verschieben und gesetzliche Leitplanken errichten. Die Kritik wird nicht wie bisher von Kulturpessimisten und Datenschutzapokalyptikern kommen, sondern von Vertretern der technologisch hochinformierten Generation selber. Ohne tiefgehendes Verständnis der Funktionsweise der modernen Informationstechnologie ist es schlicht nicht mehr möglich, sinnvoll Kritik an ihr zu üben.

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