Trends und Zukunft

Welche Bedeutung wird das gedruckte Wort künftig noch haben?

Das ist die falsche Frage. Denn sie tut so, als würde es eine Rolle spielen. In der Diskussion darüber, welche Bedeutung Bücher und Zeitungen in Zukunft noch haben werden und haben sollen, geht es viel zu oft um raschelndes Papier, um Haptik, um gewohnte Nutzungsmuster. Das zeugt von einem beängstigenden Argumentationsnotstand.

Das gedruckte Wort hat die Menschheit von der Renaissance durch die Aufklärung und die industrielle Revolution bis hin zur Postmoderne begleitet. Hat Menschen gebildet, Gesellschaften geformt und Zeitgeschehen für die Ewigkeit dokumentiert. Hat Weltliteratur hervorgebracht und Millionen Menschen täglich mit Nachrichten versorgt. Ja, das gedruckte Wort hat eine lange, beeindruckende Geschichte.

Die hatten die Dinosaurier aber auch. Irgendwann sind sie ausgestorben, weil sich das Klima geändert hat. Genauso wird es dem gedruckten Wort ergehen. Wenn sich das Klima so weit geändert hat, dass die Lebensbedingungen zu garstig sind, wird das gedruckte Wort verschwinden, in den Geschichtsbüchern, wortwörtlich. Denn die Vergangenheit liefert keine Daseinsberechtigung für die Zukunft. Hat sich eine Idee überlebt, so stirbt sie spätestens mit jenen aus, die aus nostalgischen Gründen daran festhalten.

Noch ist es nicht so weit. Der Klimawandel zeichnet sich erst ab. Das gedruckte Wort wird weder morgen noch übermorgen schon aussterben. Wenn wir aber heute ernsthaft über seine Bedeutung sprechen wollen, dann müssen wir die Geschichte ausklammern. Müssen stattdessen darauf fokussieren, was das gedruckte Wort noch zu bieten hat. Tatsächliche Alleinstellungsmerkmale, gegen die das Digitale nicht ankommt.

Dabei lässt sich ganz praktisch argumentieren. Bücher und Zeitungen sind einfach und intuitiv zu bedienen, für das Blättern gibt es in der digitalen Welt noch kein Äquivalent, nur Anlehnungen. Bücher und Zeitungen sind in der Regel angenehmer zu lesen, weil mehr Wert auf Typografie und Gestaltung gelegt wird und weil auch die besten Bildschirme dem Auge noch mehr abverlangen als schwarz auf weiss Gedrucktes. Und, was gerne vergessen wird, Bücher und Zeitungen haben den Vorteil, dass sie Medium und Inhalt zugleich sind. Damit sind sie nicht anfällig auf technische Macken, günstiger und leichter zu ersetzen für den Nutzer.

Das sind wirkliche Argumente, solche, die dafür sorgen, dass Bücher und Zeitungen ihren Schwächen zum Trotz dem digitalen Sturm noch eine Weile werden standhalten können. Irgendwann werden aber auch sie die Vorzüge der technologischen Gegenstücke nicht mehr kontern können. Spätestens dann werden wir merken, dass es eigentlich gar nie um Papier ging. Sondern um etwas viel Grundsätzlicheres. Darum, wie wir unsere Aufmerksamkeit durch ein Universum voller Informationsreize lenken.

Kurzbefehl von David BauerSie lesen einen Auszug aus dem Buch «Kurzbefehl. Der Kompass für das digitale Leben.» von David Bauer. Sie können das Buch jetzt bestellen, weiterstöbern, diesen Text kommentieren oder selber eine Frage zum digitalen Leben stellen. Ah ja, und via Facebook weiterempfehlen dürfen Sie es auch gerne.

Ein Druckerzeugnis, ob Buch, Magazin oder Zeitung, ist ein geschlossener Raum, der uns hilft, zu fokussieren, da er einen Anfang und ein Ende kennt. Wir alle kennen das befriedigende Gefühl, ein Buch zu Ende gelesen zu haben. Und die Zeitung ist aller Schwächen zum Trotz ein angenehmes Informationsmedium, weil man sie irgendwann zur Seite legen kann, mit dem Wissen, «fertig» zu sein (Siehe: «Verstehen wir weniger von der Welt als früher?»). In der stets weiter anschwellenden Informationsflut, die der Mensch nicht mehr bändigen kann, brauchen wir solche abgeschlossenen Räume; Akte der Informationsaufnahme, die irgendwann ein Ende nehmen und nicht Teil einer Endlosgeschichte sind.

Wir sind im Begriff, diese Räume abzuschaffen. Im digitalen Zeitalter hat jeder Raum zig Türen, die in weitere Räume führen und immer weiter, immer weiter. Überall wartet der nächste Link darauf, geklickt zu werden, die nächste multimediale Anreicherung in Form von Bild und Ton. Der Inhalt kennt kein Ende mehr. Die Gefahr, sich zu verzetteln ist gross. Man kann die Informationsaufnahme nicht beenden, sondern nur abbrechen. Dadurch wird das Gefühl verstärkt, nicht ausreichend informiert zu sein. Das ist der Punkt, den es wirklich zu bedenken gilt. Mit Papier und Druckerschwärze hat das herzlich wenig zu tun.

Wenn wir also über die Zukunft des gedruckten Wortes sprechen, sollten wir vielmehr über die Zukunft geschlossener Informationsräume sprechen. Auf Papier waren die Räume zwangsweise geschlossen, in Zukunft müssen wir sie bewusst schliessen, wenn wir ein ähnliches Leseerlebnis noch herstellen wollen. Wünschenswert wäre es auf jeden Fall. Auch in Zukunft möchte ich ein Buch ohne Ablenkungen von vorne nach hinten durchlesen können und zufrieden zur Seite legen, wenn ich am Ende angelangt bin. Ob das Buch dann elektronisch ist, ist mir reichlich egal.

> Zum Inhaltsverzeichnis