Stil und Anstand

Darf ich mein Date vorher googeln?

Da hat man eine flüchtige Bekanntschaft gemacht, fand sich nett, hat Nummern ausgetauscht und trifft sich nun erstmals zu einer richtigen Verabredung. Wir leben im 21. Jahrhundert, da kann es doch nicht verkehrt sein, vorher kurz eine Suchmaschine mit dem Namen des Dates zu füttern. Umso mehr, wenn ein nur mutmasslich glücklicher Zufall des Lebens einander zusammengeführt hat und nicht der treffsichere Algorithmus einer Partnerbörse (Siehe: «Soll ich die grosse Liebe im Netz suchen?»). Oder lieber doch nicht? Seien wir ehrlich, die Frau oder den Mann, mit dem man sich verabredet hat, vorher zu googeln, das ist etwas für Streber, Stalker und Menschen mit Minderwertigkeitskomplexen. Also für uns alle.

Jemanden frisch kennen zu lernen ist wie eine Reise in ein unbekanntes Land. Und bevor wir in die Ferne aufbrechen, informieren wir uns schliesslich auch. Es ist durch und durch menschlich, dass wir Unsicherheiten minimieren und möglichst viel Kontrolle über eine unbekannte Situation gewinnen wollen. Und wo doch Google mittlerweile über fast jede und jeden etwas ausspuckt, ist die Verlockung nur zu verständlich, nicht nur vor einer Reise, sondern auch vor einer Verabredung zu recherchieren und sich gründlich vorzubereiten (Siehe: «Wie finde ich im Netz, was ich suche?»). Also keine Sorge, Sie dürfen Ihr Date googeln. Erstaunen oder gar erschrecken wird das schon lange niemanden mehr.

Da finden wir also: Die Person war früher mal bei den Pfadfindern, hat ihren Schulabschluss im Ausland gemacht und mag laut Facebook-Profil Popmusik aus Schweden. Und dann ist da noch dieses Strandfoto, auf dem sie einen etwas seltsamen Hut aufhat. Das gibt uns schon mal ein paar Stichworte für den Smalltalk – vielleicht aber auch ein vollkommen falsches Bild. Vielleicht steigt die Vorfreude auf das Treffen, vielleicht erlischt sie gänzlich. Jedenfalls fühlen wir uns ein klein wenig sicherer, denn wir wissen jetzt mehr als zuvor.

Kurzbefehl von David BauerSie lesen einen Auszug aus dem Buch «Kurzbefehl – Der Kompass für das digitale Leben.» von David Bauer. Sie können das Buch jetzt bestellen, weiterstöbern, diesen Text kommentieren oder selber eine Frage zum digitalen Leben stellen. Ah ja, und via Facebook weiterempfehlen dürfen Sie es auch gerne.

Nun erscheinen Sie also gut vorbereitet zur Verabredung (vor lauter Schnüffelei haben Sie hoffentlich nicht vergessen, sich auch ganz undigital auf die Suche nach Parfum, Kondomen und frischen Socken zu machen). Zweierlei kann jetzt schief laufen. 1. Sie blamieren sich fürchterlich, weil Ihnen Google eine verheerende Fehlinformation zugespielt hat. 2. Sie blamieren sich fürchterlich, weil Sie durch allzu profunde Kenntnisse auffliegen. Das erworbene Wissen gilt es unbedingt diskret anzuwenden. Wenn keins von beidem eintrifft – haben Sie trotzdem verloren. Denn es geht hier um etwas Grundsätzliches.

Das Gefühl der Sicherheit gibt es nur in einem faustischen Pakt. Im Tausch gegen die Chance auf eine echte Begegnung. In dem Moment, da Sie Ihr Date googeln, verschenken Sie das magische Element, das Sie später brauchen, wenn aus dem Date etwas werden soll. Die Liebe lebt von Zufall und Überraschungen. In der Liebe müssen wir den Mut noch haben, das Ungewisse zu umarmen. Wo, wenn nicht da?

Trauen Sie sich. Zwingen Sie sich. Unterdrücken Sie dieses eine Mal den natürlichen Impuls nach Kontrolle. Im Verlauf des Dates werden Sie noch genügend Gelegenheiten erhalten, Ihren Impulsen nachzugeben.

> Zum Inhaltsverzeichnis